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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.51 (1925)
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Nr. 3

Mitteilungen des Deutschen und vesterreichischen

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Medizin und Hygiene haben es, sagt man, in einem
Jahrhundert zuwege gebracht, unser Leben durchschnittlich
um zwanzig Jahre Zu verlängern. Wie werden wir diese
Königsgabe verwerten? Sollen die sinnenstumpfen, anteil-
lösen Mummelgreise ihr armes Dämmerleben um Jahrzehnte

länger hinduseln? Oder werden wir lieber das Kind mög¬
lichst lange kindlich sein lassen und alle übrigen Stufen der
Jugend noch breiter machen, indem wir die schwächende
Treibhauskultur fern halten?

Von Ing. Eduard Pi chl, Wien.

Manche Erscheinungen und Bestrebungen in der letzten Zeit, die
darauf hinauslaufen, dem Alpenverin den Atem zu benehmen und
ihm die Hände auf den Rücken zu binden, müßten eigentlich jedem
Alpenuereinsmitglicd, welches den Edelweißstern mit Bewußtsein
und größter Genugtuung trägt, die Frage aufdrängen:

Soll unser Alpenverein bloß ein, wenn auck/ hervorragendes
Glied in der langen Reihe der vielen nach ihm entstandenen al¬
pinen Vereinigungen sein, unter denen er nur durch die beträcht¬
liche Zahl seiner Zweige, seiner Mitglieder und seiner Hütten auf¬
fällt, oder muß er nicht wegen seines Alters, seines Entwicklungs¬
ganges und Ausbaues, wegen seinen bahnbrechenden und vorbild¬
lichen Schöpfungen und Leistungen auf alpin-erschließerischem,
wissenschaftlichem und volkswirtschaftlichem Gebiete der Alpen-
vcrein sein?

Soll der Unfug mit dein „erlösenden" Gedanken der Gleich¬
macherei, mit der Löschung aller durch Arbeit und Verdienste wohl¬
erworbenen Vorrechte auch unseren Alpenverein seiner in vieljahr-
gehntelanger Mühe errungenen alpinen Vormachtstellung entkleiden
und ihn zu Gunsten auderer, oft ganz andere Ziele verfolgenden
Vereinigungen an moralischem Einfluß, an Geltung und Besitzstand
fortgesetzt schwächen dürfen?

Höchstens solche Mitglieder können dies wünschen, die ihre Zu¬
gehörigkeit zum Alpenverin nicht höher werten als die zu ei,,em
anderen Vereine, die unser Eoelweif; Zwar an der Brust oder auf
dem Hute tragen, denen es aber bloß einen Schlüssel zur Erlangung
von Begünstigungen bedeutet, deren alpines Herz für den Alpen-
verein nicht stärker schlägt als für irgend eine andere ost- oder west¬
alpine Vereinigung, deren Mitgliedschaft sie erworben haben!

Wer aber ein ehrlicher Freund des Alpenuereins ist und sich mit
Stolz zu ihm bekennt, dessen Antwort kann nur „New" lauten. Und
Zwar auch dann, wenn er, wie es recht und billig ist, die Arb.'ils-
tätigkeit, die Erfolge nnd Rechte der anderen Vereine achtet uud
schätzt und gute Beziehungen zwischen Alpenvcrein und den anderen
Vereinen für wünschenswert hält. Wenn wir also eine Zurück¬
drängung des Alpenuoreins nicht wollen, was müssen wir d.nm
tun?

Wir müssen nicht nur selbst davon überzeugt sein, daß unser
Alpenverein der Alpenuerein schlechtweg ist, sondern die ganze
Welt, soweit sie dem Wandern und Bergsteigen, dessen Ursachen und
Wirkungen, sowie den damit zusammenhängenden Einrichtungeil
Verständnis entgegenbringt, muß es sehen und greifbar fühlen kön¬
nen, was das deutsche Volk an dein Alpcnverein hat lind wodurch er
sich van den anderen turistischen Vereinen unterscheidet. Nicht bloß
seiner geschehenen vorbildlichen Taten darf sich der Alpcnuercin
rühmen, auf seiue ehrwürdigen U eb e rl i e f e ru n g e n verweisen
und sich in dem Glänze einer großen Vergangenheit sonnen,
sondern auch der berechtigte Hinweis auf sein fortgesetztes Streben
nach ununterbrochener Fortentwicklung muß seinen Stolz bilden.
Trachten wir, beseelt von dem steten Gedanken un5 der nimmermü¬
den Sorge um des Alpenuereincs Blühen uud Fortentwicklung, un¬
sere dem Alpenuerein nützlichen Gedanken durch Ain^uiugen, Vor¬
schläge und Anträge in die Tat umzusetzen, dann wccden wir alle
zusammen den richtigen Weg finden, den uuser Verein gemäß sei¬
ner Größe und Würde und Kraft seiner Bedeutung für unser deut¬
sches Volk gehen muß.

Aus dieser Wegsuche bin ich zu folgender Erkenntnis gelangt:

1. Tölzer Richtlinien für AlvenvcreinLhiillen und -wcge:

Wenn sich der Alpcnvcrcin weitere Entwicklimgsmögli'chle!-
lcn vm'bchallcn uud schaffen und sich nicht das alpine Fiihrcrbc'nner
entwinden lassei: will, darf er sich nicht zur Freude anderer Veline
solcher Möglichkeiten selbst berauben, wie es durch einige Punkte
der Richtlinien geschieht. Der Alpenuercin kann nicht aus¬
schließlich ein Verein von ausübenden Bergsteigern sein, oder gar
einen hochturistischcn Stempel tragen, es wäre das ein Standpunkt
engherziger Selbstsucht, auf den unser Verein sich nicht stellen darf
angesichts der dringenden Aufgabe, an der Wiedcrgesundung un¬
seres ganzen Volkes, also aller seiner Stände und Schich¬
ten, die ihre Freude an der Natur, am Wandern und Bergsteigen
auch in anspruchsloser Art betätigen wollen und die der Stärkung
des Körpers und der Seele bedürfen, tatkräftig und ernsthaft mitzu- ^
nrbeiten. !

Die Erfahrung hat gelehrt, daß die zu Tülz beschlossenen!
Richtlinie» jür Alpen verein shütten und -wege

väre es ja besser, wenn sich solche Hütt?!ibesitz< iide Set-,

m Stillstand entschlössen und nichts mehr für die'Allgemein-i

oder sich mit einer Hütte begnügen und chre Mitglieder!

zwar dem rein bergsteigerischen Gedanken im Alpenvercin Rechnung
tragen, sich für den Alpenvercin im Allgemeinen und dessen Stellung
im deutschen Volk, wie in der alpinen Welt aber Zum Teil ungün¬
stig auswirken. Die Richtlinien enthalten 12 Punkte: die Punkte
4 bis 12 sind gut, die ersten drei Punkte aber, will der Alpenuerein
sich und feine Entwicklung nicht selbst schädigen, änderungsbcdürftig.
Diese ersten drei Punkte sprechen geradezu ein Verbot gegen die
Neuerrichtung von Hütten und Wegen und Erweiterungsbauten aus
und dulden solche Tätigkeit nur ausnahmsweise. Auf Beihilfe
aus den Mitteln des Gesamwereines können solche Arbeiten nur^
bedingungsweise zählen. Hüttenbesitzende Sektionen, die in jähr«
zehntclanger Arbeit, dank der Opferfreudigkeit ihrer Ausschüsse und
Mitglieder, die Alpen durch kostspielige Weg- und Hüttenbauten mit
erschlos>en haben uud damit der Wohlfahrt ihres Volkes dienen, so«,
wie den Vesitzbestand des Gcsnmtvercins bedeutend vergrößert ha¬
ben, dürfen wciters auch nicht mehr auf ihre Hütten^und deren^
Zugänge wie auf die dort zu genießenden Naturschünheitcn auf-'
mcrksam machen — denn das wäre „Reklame" — sie sollen sich im'
Gegenteil in Schweigen hüllen über das Vorhandensein solcher An-'
lagen, damit niemand außer den „Wissenden" erfahre, daß er aufi
diesem Wege jene Hütten erreichen und auf jenem Anstiege rerschie-^
dene Gipfel besteigen könne, damit niemand verlockt werde, des!
Gebirge zu durchwandern und so in das Reich der ausübenden^
Bergsteiger einzudringen. Als Mitglied eines streng hockMpinen
Klubs werde ich es lieber sehen, wenn das Hochgebirge nur und'
meinesgleichen möglichst unberührt erhallen bleibt, al Ai
uercinsmitglied aber muß ich anders l!

Da wäre
tionen zum

von deil Aufwendungen und Mühen anderer bauender Sektionen!
zehren ließen. Dadurch könnte eine solche Sektion ihren Mitglied
dcrn den Vorteil eines niedrigen Mitgliedsbeitrages gewähren und!
auf der einen Hütte, die sie besitzt, den eigenen Mitgliedern bil-!
lige Vorzugspreise gewähren. Die anderen turistischen Vereine frei-!
lich sind über diese Sätze der „Richtlinien" erfreut und sind damit in^
Rechte, denn da der Alpenverein seine fügende Stellung aufgibt, so!
besteht für die baulustigcn anderen Vercme nun lein' Hindernis'
mehr, ihren Betätigungsdrang auszuleben, und die Aufgaben des'
Alpenvcrcins zu sl.ernchincn.

Weniger entzückt sind die staatlichen Behörden, die für die Ab¬
schließung der Alpengegenden gegenüber der Allgemeinheit nicht das^
mindeste Verständnis aufbringen. Doch diese trösten sich in der'
Weise, daß sie die Tätigkeit der übrigen turistischen Vereine u m -
somehr fördern uud über den Alvenvcrcin zur Tagesordnung
übergehen werden. Und sie müssen das geradezu tun, ' weil das
kleine Österreich darauf angewiesen ist, seine Naturschönhcitei»
volkswirtschaftlich zu verwerten.

Es wird hier an die seinerzeit vom Alisschusse der „Austria" be-
schlojjencn Grundsätze (Nachrichten der Sektion „Austria" von An¬
fang llktobcr 192.^) erinnert:

„Die Alpen sind der Gesundbrunnen unseres Vo
„k e s, der nicht nur einem kleinen Kreis von „Nur-Vergsteigern" zu«
„gänglich sein soll. Der Alpenuerein darf daher kein Vollwerk ge»
gen den Zug in die Berge sein, sondern soll diesen möglichst ver-
„teilen und planmäßig erschließen, wodurch er am besten dem
„g anzon Volk und dem Vergsteigertum dient. Wenn der
„Alpenucrein weder Hütten noch Wege baut, so gibt er seine
„f ü h r,c n d e Rolle aus, der Hand, er kann die Erschließung nicht
„mehr in Bahnen lenken, die dem Geiste des Vcrgstcigertums cnt«
„sprechen, er geht seines Anteiles an der Volkswirtschaft verlo¬
gen und andere Vereinigungen werden den Vortritt überneh«
„mcn. Die Alpenländer sind auf den Fremdenverkehr angewiesen,
„jede Erschließung der Alpen findet daher die weitestgehende Un¬
terstützung der Behörden. Es geht nicht an und liegt!
„auch nicht in der Macht des Alpenuereins, die Berge als Allein-l
besi tz einer kleinen Gruppe von Hochturisten zu erklären und dies,
„dadurch erreichen zu wollen, daß die Hütten ungastlich gemacht'
„werden. Sie sollen einfach aber behaglich sein, damit der'
„im Daseinskampf gehetzte Mensel, und der von schwieriger Tur!
„Zurückkehrende Erholung findet. Bei allen auf Kosten der
Gesamtheit des Alpenvereins durchzuführenden Herstellungen