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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.54 (1928)
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öes Deutschen und (österreichischen /llpenvereins

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Expedition Nudolf Mosse.

Nr.

Wien, 30. Juni

1925

Inhalt: Von Stuttgarts Umgebung. — Die erste liberquerung der Iimba. Geheimrat Dr. Karl Giesenhagen 1-.
Hundertjahrfeier der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. — Unser Alpines Museum. — Die Ausrüstung der Alai- und
der Andenexpedition. Die Festigkeit von Vergseilcn bei ruhiger und ruckartiger Beanspruchung. — Verschiedenes.

von Stuttgarts Umgebung.

Ein Wüsienberger." Wie oft habe ich von Nord»
deutschen uns so nennen hören und Hab doch nie be¬
griffen, weshalb. Denn einmal sagt kein Schwabe so,
und dann, daß unser Land wüst, öde sei — sollten wir
uns das nachsagen lassen müssen? Seht euch einmal die
Umgebung Stuttgarts an, und ihr werdet sagen, daß
nicht viele Großstädte über leichter erreichbare Wander¬
gebiete verfügen, die, in ihrem Wesen so verschieden, allen
Ansprüchen Anregung und Befriedigung geben können.

Drei Stufen formen das Gesicht unserer Landschaft,
die, von den Schwarzwaldbergen im Westen aus schräg
die Breite unseres Landes durchziehend, drei verschie»
denen geologischen Zeitaltern angehören und alle ihr
eigenes, in nichts dem anderen ähnliches Gepräge haben.

Sehen wir einmal vom südlichen, Stuttgart fernsten
Streifen, dem Moränengürtel Oberschwabens, ab, sehen
wir auch ab vom Schwarzwald; seine weiten, dicht be¬
waldeten Höhenzüge, die an die Muschelkalklandschaft
ohne Vermittlung sich reihen, um nach Westen, dem
Rhein zu, steil abzubrechen und erst eigentlich das Bild
eines Gebirges geben, die lieblichen Wiesentäler, die
tief zwischen die Hochflächen eingeschürft sind, und die
von dem Wasserreichtum des Gebietes bedingte, immer
frische Luft sind schon weithin gerühmt; zum kleinsten
Teil nehmen sie württembergischgs Gebiet ein, sind zu¬
meist von Stuttgart aus nicht so rasch zu erreichen, und
vor allem: die eigentlich charakteristische schwäbische
Landschaft sind sie nicht. Die beginnt erst da, wo die
großen Wälder ein Ende haben, da, wo wir, aus einem
Tal aufsteigend, weites, sonniges Feldland vor uns
haben, das sich endlos zu dehnen scheint, bis an die Li¬
nien ferner Berge hin, die wir, im Norden niedriger
und weich in den Formen, mehr nach Süden mächtig, in
harten, kantigen Umrissen den Horizont begrenzen sehen.
Das ist unser Schwabenland, des Stuttgarters Wan»
dergebiet: der schöne Reichtum des Vuntsandstein»
gebietes, die stillen Reize des hügeligen Keuperlandes,
des Schwäbischen Waldes und die starre Größe des
Jura, der Alb.

Machen wir einen Rundgang über die höhen, die
Stuttgarts Talkessel umstehen, so erkennen wir die ganze
Eigenart des Landes:'bis hin zu den Albbergen zieht
sich das terrassenartige Vorland, in das der Neckar sein
Bett gegraben hat, und gleich vor der Stadt steigen die
Weinberge aus dem belebten, arbeiterfüllten Talgrund
die Hügel hinan,'die sich wellig hinziehen, weiter als
der Blick reicht. Aus der Ebenen» und Tallandschaft er¬

wächst so der Schwäbische Wald. Den Fluß sehen wir
noch ein paar Biegungen machen, dann verschwindet er
in der weiten, flachen Ackerlandschaft, und folgen wir
seinem Laufe, dann sehen wir ihn in großem Bogen
durch ein fruchtbares Land ziehen, in dem zwischen Fcl»
dern, Obstgärten und Weinbergen freundlich die hellen
Dörfer liegen. Cr führt uns an Marbach vorbei, dem
Geburtsstädtchen Schillers, das hübsch am hange sich
hinanstuft, dessen Museumskuppel wir von Stuttgarts
Höhenstraßen aus in der Abendsonne gleißen sehen. Der
Fluß bricht bald darauf tiefer in die Muschelkalkebene
ein und schafft hier ein schönes Tal, über dessen Wein¬
berghängen die Klippen der Felsengärten, der viel¬
besuchten Kletterschule, starren und öffnet im weiten
Rund sein Tal, um die Cnz zu empfangen dort bei
Vesigheim, das, hochgetürmt auf schmaler Vergzunge,
zwischen den beiden Flüssen sich hinstreckt. Asperg und
Wunnenstein, die beiden Kuppen, die aus der Ackerfläche,
weithin zu sehen, aufsteigen, sind längst im Rücken, da
umfließt er noch einmal ein altes, schmiegsam dem hang
verwachsenes Städtchen, Lauffen, ehe flacher das Tal,
weiter und offener das Land wird, das nun wicher einer
größeren Stadt am Flusse Raum gibt. Es ist Heil¬
bronn, diese schönste unserer Städte, die da im großen
Halbkreis der Weinberge ihre Kirchen, Türme und alten
Giebel erhebt und wächst und hinausquillt ins Tal und
an den hängen hin. Nun sind sie aber ganz nahe an den
Fluß herangetreten, diese Hügel, die wir immer im Osten
ihre waldigen Rücken haben dehnen sehen, und wenn
wir ihrer Verlockung nachgeben, dann werden stunden»
weit Wälder, Laub und Tann, gerodetes Hochland,
Klingen, zerklüftet und düster, Täler, breit und emsig,
unsere Wege umsäumen, bis wir in die reiche, sonnige
hohenloher Ebene hinabsteigen, in die Jagst und Kocher
unvergleichlich schöne, mächtige Täler gefurcht haben,
oder bis wir, den Kreis schließend, wieder auf den
höhen von Stuttgart stehen, unter uns die Stadt und
den Rotenberg, der Neckarvororte Wahrzeichen, und
über dem Tal, hinter dem Vorland, die wuchtige,
drohende Mauer der Albberge.

Nun an dem Wege zur Alb liegt noch eine Stadt, die
vergangener Jahrhunderte Wirken und Können reich
bedacht hat: Cßlingen, die Reichsstadt, die in ihrer
heutigen raschen Entwicklung so ganz das Bild einer
kleinen, stolzen Stadt gewahrt hat und die mit ihren
weit über die hänge in Obstgärten hingestreuten Vor¬
orten das Urteil des alten Chronisten bestätigt, der da