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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.54 (1928)
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Mitteilungen des Deutschen und Osterreichischen Alpenvereins

Nr. 6

sagt, „die Gegend umb Eßlingen sei von unbeschreib¬
licher Anmut". Es lohnte sich schon, hier so nahe vor
Stuttgart, noch einmal zu verweilen, ehe wir dem Fuße
der Albberge uns nähern. Die kommen uns weit ent¬
gegen: ein schmaler Grat, durch einen tief eingekerbten
Sattelbogen vom Vergmassiv getrennt und dadurch erst
selber zum Verg geworden, steht die Tick weit draußen
vor dem Nande der Kette, und der Weg über den Nucken
zur langen Kette der Albberge hinüber ist der schönsten
einer, die es gibt. Unter uns liegt das Vorland, durch
den Wald sehen wir bald das Gold der Felder scheinen,
bald blicken wir von hohem Felsen weit hinauf in eines
der Täler, die aus dem harten Gestein schroffe Verg-
hänge genagt haben. Denn das erkennen wir bald: all
die jähen, trutzigen Verge, die wir von weitem in den
Himmel zucken sahen, sind nur der Nand eines end¬
losen, kahlen Hochlandes, das gleichförmig sich fortsetzt
und im Horizont sich verliert. Einmal oben angelangt,
sehen wir wohl, Mulden Bewegung in das Gefilde brin¬
gen, Tälchen die Flächen aufreißen, aber das, was der
Alb ihr Gesicht gibt, das sind die schroffen Abstürze,
die waldverkleidete, felsengegürtete kühne Stirn, die sie
dem Vorland weist. Und da über den steilen Hängen,
an den Vorsprüngen des Vergrandes, liegen die Aus¬
sichtspunkte, liegen die Schlösser und Burgen, und drum
scheinen auch Lichtenstein, Neußenstein, Neuffen fo ver¬

wegen und beherrschend, weil sie hoch über tiefem Land
am Vergrande hängen. Die Nandwege, den viellauni¬
gen Ecken und Winkeln folgend, sind denn auch die gro߬
artigsten und am meisten begangenen, doch wer den ganz
eigenen Zauber der Alb verspüren will, der muß auch
einmal über die Hochfläche weggegangen sein, wenn die
glühende Sommersonne über ödem Weidland stand, reg-
los die riesigen Weidbuchen in unbewegten, blauen Him-
mel sich breiteten, kein Verg, kein Tal, nur traurige
Endlosigkeit. So werden unsere Wege über den Alb¬
rücken sein; doch weit greifen die Täler hinein ins
Innere des Gebirges, und es läßt sich die Querung da¬
durch leicht kürzen. Vom Süden die Täler der Lauter
und Schmiecha, von der Neckarseite her die bei Neut-
lingen und Urach bringen Wechsel in die Einförmigkeit
der Hochfläche, und die Fils hat gar ein gewaltiges Huf¬
eisen gezeichnet, so daß zwischen ihrem Ober- und Unter¬
lauf ein Zug nun wirklicher, von ihren Seitenwassern
herausgenagter Cinzelberge geblieben ist. Die aber ge¬
hören zu den schönsten und eigenartigsten ringsum, und
wer sie überschreitet, der kommt in eine der freundlichsten
Städte der Alb: in das am Iusammenlauf dreier Täler
gelegene Geislingen, wo die Bahn sich anschickt, die Höhe
zu überwinden, Ulm entgegen zu fahren, Oberschwaben
und den Alpenbergen, die wir auf manchem unserer Alb¬
wege fern haben locken sehen. Hans Karl Siegel.

Die erste Überquerung öer Amba.

Von Dr. Wilhelm Stra-Z-.

In Konstanz ist vor Jahresfrist, am 12. März 1927,
im Alter von 89 Jahren Dr. Wilhelm Strauß ge¬
storben. Er hat sich in früheren Jahren als tüchtiger
Alpinist ausgezeichnet. Ihm zu Ehren ist der Weg, der
vom Nenzinger Himmel auf den Panüler Schrofen
führt, Straußweg genannt. Als im September 1925 die
„Konstanzer Zeitung" einen Aufsatz von mir über die
Iimba brachte, in dem auch ihre erste Ersteigung über
die Südwand durch Dr. Strauß am 22. August 1886
erwähnt war, erhielt ich von dem im 88., Lebensjahre
stehenden Manne einen Brief, der in sehr sauberer
Schrift geschrieben war und nicht nur die volle körper¬
liche, sondern auch geistige Nüstigkeit des Schreibers
bewies. Cs wird nicht oft vorkommen, daß bei einem
Greise von fast 90 Jahren aus einem Schreiben keine
Spur seines Alters zu ersehen ist. Da der Brief be¬
merkenswerte Mitteilungen über die Erschließung der
Iimba, des schönsten Berges Vorarlbergs, enthält, sei
er hier wörtlich abgedruckt.

Dr. Hans Nagele, Vregenz.

Konstanz, 12. September 1925.
Sehr geehrter Herr Doktor!

Vor einigen Tagen las ich in der „Konstanzer Zei¬
tung" einen flott geschriebenen Artikel aus Ihrer Feder
über den stolzesten Gipfel Ihres schönen Vorarlberger
Ländchens, die Iimba.

Dieser Aufsatz erweckte nicht nur mein lebhaftes In¬
teresse, sondern machte mir auch herzliche Freude, da er
mir jenen prächtigen Tag mit allen Einzelheiten ins
Gedächtnis zurückruft, an dem es mir gelungen ist, die
bis dahin vergeblich berannte Südwand dieses vielbe¬
gehrten Gipfels zu durchklettern und damit die erste
überquerung der Iimba durchzuführen; ob aber alle
'aus der längst verstaubten Schublade meines 87 Jahre
alten Gedächtniskasten auftauchenden und mir feiner«
zeit und auch jetzt noch bemerkenswert erscheinenden

Einzelheiten auch bei anderen Anteilnahme finden, muß
ich billigerweise bezweifeln! Da ich mich aber in der
Bewunderung des erhabenen Wahrzeichens Vorarl¬
bergs, feines Matterhorns, und der Liebe zur Verg-
welt einig weiß, darf ich vielleicht doch annehmen, daß
das eine oder andere davon Gnade vor Ihren Äugen
finde. Und so will ich es versuchen.

Als mir vor einigen sechzig Jahren auf der Meldegg
(einem 648 m hohen, berühmten Aussichtspunkt unweit
von Walzenhausen im Schweizer Nheintale) das über¬
wältigende Bild der Iimba zum ersten Male vor Augcn
trat, war sie in den Schleier völliger Unnahbarkeit ge¬
hüllt, für den jungen Adepten der Vergsteigerzunft ein
Gegenstand höchster, mit einem erklecklichen Schuß von
Gruseln gemischter Bewunderung und blieb es auch ge¬
raume Ieit. Dort lernte ich aus dem Munde eines er¬
fahrenen . Vergfreundes eine Überlieferung kennen,
welche mit der von ihnen mitgeteilten aus dem
Vrandnertal unverkennbare Ähnlichkeit hat und wohl
auf der gleichen Tatfache aufgebaut erscheint. Darnach
soll vor vielen Jahren bei versuchter Ersteigung in der
Nähe des Gipfels ein Skelett gefunden worden sein, in
dessen Nähe ein Stutzen (eine Büchse) gelegen habe mit
dem eingravierten Worte „Iimpa", welches, als Cigen-
tumsbezeichnung gedeutet, dem Verge, dem unvergleich¬
lichen, seinen Namen gegeben habe.

Dem sei, wie ihm wolle; mir selbst wurde noch 1886
von einem alten Sennen auf der Alpe Vilifau, der uns,
dem Führer Heim aus Vludenz und Mir, bereitwilligst
Gastfreundschaft auf prallen Säcken voll raschelnden
Vuchenlaubes gewährte, mit der klassischen überzeu¬
gungstreue des Einheimischen über die Crsteigbarkeit
und Unersteigbarkeit der Verge seines Tales ver¬
sichert, daß ich ebensowenig „do uffi" kommen werde,
„wie der junge Engländer, den vor einigen Jahren der
alte Iudrell aus Schruns mit noch zwei anderen Führern
am Seile hinaufzuschleppen versucht habe".