Das Wettersteingebirge.
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hinauszublicken, das sich kaum merkbar an den weißen Schneeflächen abhob. Bei
jedem Windstoß wuchs unsere Hoffnung, um in dem Grau baldigst wieder unterzu¬
gehen. Unsere Sehnsucht galt den Wetterspitzen und dem Wetterwandeck; d. h.
nicht eigentlich den Gipfeln. Wir wollten bloß den Riesenabsturz gegen die Ehr¬
walderalm erst von oben ansehen, bevor wir ihn angingen. Die zwei schlechten
Tage machten uns einen großen Strich durch die Rechnung. Denn wir waren
nicht mehr freie Studenten mit unbegrenzter Zeiteinteilung, sondern trugen in
zwei Tagen statt der Pickel wieder Karabiner. Endlich am 18. Juni sanken die
Nebel hinab aufs Platt, hinunter in die Täler des Gebirges, unser Hausherr prophe¬
zeite schönes Wetter und um 12 Uhr 15 Min. ragte bereits der Brunntalkopf über uns.
Wir hatten den Plan, die Wand von oben anzuschauen, aufgegeben und uns den
besseren und einfacheren Teil erwählt, die Wand zu probieren. Freund Bachschmid,
Schneider und ich waren auf dem Wege übers Gatterl nach Ehrwald. Niemand
wußte, daß in Ehrwald beim Adlerwirt noch Freund Laßberg auf mich wartete.
So zogen wir den Plattweg entlang im gemütlichsten Tempo, freuten uns
des schönen Tages und unseres freien Daseins und rasteten nicht wenig. Nur
kurz vom Gatterl warf ich einen Blick auf die weiten, schneebedeckten Höhen
und Tiefen des Platts. Ob wir uns wohl morgen sehen werden? Ich kannte die
Wetterwand nur aus Bildern und Schilderungen, aber dies genügte, um dem
Gelingen der Tour ein Fragezeichen vorauszusetzen. Unter solchen Gedanken
kamen wir ans Feldernjöchl, wo sich Freund Schneider von uns trennte, um
die stacheldrahtbeschützten Gatterlköpfe zu ersteigen. Die Hänge zum Issental
liefen wir hinab, ich war begierig, den unbekannten Feind zu Gesicht zu be¬
kommen. Die Schrofen rechts von uns wurden allmählich steiler, größere Wand-
panien traten auf. Am Issentalsattel sahen wir die Wand im Profil, eine halbe
Stunde später standen wir ihr gegenüber. So ziemlich in der Fallinie des Wetter¬
wandeckgipfels mußte der Einstieg liegen. Die Geröllfelder schnitten hier weiter
in den Felskörper ein, gangbare Schrofen leiteten ein Stück empor. Etwa 200
m
west¬
lich der Anstiegsstelle durchzog eine plattige, tief eingeschnittene Schlucht das Berg¬
massiv, deren Begehbarkeit außer Zweifel stand. Aber das Zwischenstück war allem
Anscheine nach äußerst schwierig. Mit diesen dürftigen Kenntnissen zogen wir
hinunter zur Ehrwalderalm. Erst heute waren die Senner aufgezogen, aber trotzdem
fanden wir freundliche Wirte. Sie hatten eine Veranda erbaut und erzählten uns
voll Stolz, wie fein man da heroben leben könne und wie feine Leute da herauf¬
kämen. Wir waren zwar herzlich froh, daß wir keine feinen Leute sahen, aber
jedenfalls ist der Besuch der Ehrwalderalm für niemand ein verlorner Tag. Abends
zogen wir nach Ehrwald. IDaß wir langsam gingen, dafür sorgte zu unserer Rechten
die Riesenwand, die sich Schritt für Schritt verwandelte, Hoffnungen aufleben ließ
und sie wieder zerstörte. Um V27 Uhr begrüßten uns v. Laßberg und Lewicki aus
Garmisch. Unsere Schweigsamkeit und unser Reden, alles galt der Steilwand, die
morgen aus ihrer tausendjährigen Ruhe aufgestört werden sollte.
Um 4 Uhr brachen wir auf. Wie gestern abend brauchten wir erhebliche Zeit,
um den Lärchenwald zu durchsteigen. Das größte und auch wichtigste Hindernis,
bildete ein Fernrohr, das Lewicki mitgebracht hatte und das dutzend Male in den
Rucksack aus- und eingepackt wurde. Das Endresultat all unserer Bemühungen war
die gestern geplante Route zu probieren.
Nach einer Viertelstunde Rast in der Ehrwalderalm stiegen wir das Issental
hinan: Hier blieb Lewicki zurück, dessen Liebe zu der Wand eine platonische war,
um von dort mit seinem Fernrohr unserem Versuche zu folgen. Bachschmid,
v. Laßberg und ich begannen die Geröllhänge zur .Wand anzusteigen und uns be¬
ständig leicht links, westlich haltend, kamen wir über die untersten Partien
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