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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd. 20 (1894)
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Mittheilungen deB Deutschen und OesterreicMschen Alpenvereins.

Nr. 11

Touristische Mitteilungen.

Stubaier-Gruppe.

Gratwanderung Wetterspitze-Winkeljoch. Die das Eidnaun-
thal gegen Nordost abschliessende Felsmauer, welche
vom Gasthause in Bidnaun aus sich von den Telfer
Weissen bis zur schlanken Aglsspitze übersehen lässt,
ist nur wenig besucht und beschrieben. Vor Allem
lohnend wegen des unbeschreiblich grossartigen Blickes
auf den gerade gegenüberliegenden Tribolami, aber
auch sehr instruktiv für die nächste Umgebung des
Bidnaunthales, ist die Besteigung der Wetterspitze
(Farner Beilspitze), 2707 m hoch, welche ich im August
1893 mit den Herren Dr. Bruna und Architekt Zucker
aus Hannover von Bidnaun aus führerlos besuchte. Nach
TJeberschreitung des Bidnaunbacb.es steuert man direkt
über den Eggbauera-Hof in nordwestlicher Bichtung
dem darüber gelegenen Heustadel zu und sucht dann
in die unmittelbar von der anscheinend höchsten Er¬
hebung der Wetterspitze, nordwestlich herabziehende,
steile Einsattlung zu gelangen. Nach TJeberschreitung
einer Schlucht an deren oberstem Ende, steigt man auf
theilweise vorhandenen Schafsteigen in der Eintiefung
hinauf und gelangt an den vorderen, aus mächtigen
Geröllmassen bestehenden Gipfel, den man am besten
an seinem nördlichen Ende überklettert, und betritt nach
wenigen Minuten den Hauptgipfel, ß 1 /«* Stunden von
Bidnaun. Während der ADStieg auf den Grat hinüber
nach Osten zur Seberspitze und den Telfer Weissen
stellenweise schwierig ist, gelangt man gegen Nordwest
unachwierig in 20 Minuten hinab zum Allrissjoch,
2520 m, über welches ein von den Thalbewohnern viel-
benützter Uebergang nach Innerpflersch (5 Stunden von
hier bis Bidnaun) führt. Vom Joch aus erreichte ich
mit-H©rrn-E-aoker~in,.20--Minuten die Mauerspitze, 2621
Meter, von Norden aus. Dann stiegen wir zum 2543 in
hohen Pfarnbeiljoch ab, über das man ebenfalls leicht
ins Pflarschthal gelangen kann, und erreichten nach
einer weiteren Stunde, uns stets möglichst hoch in den
Nordwänden haltend, zuletzt durch einen steilen Kamin
und über mächtige Blöcke, die 2622 m hohe Ellesspitze,
welche ausser von Barth und Pfaundler und uns, von
Touristen kaumbetreten worden sein dürfte. In schlechtem
Gestein stiegen wir wiederum etwa 100 m nach Nord¬
west zur folgenden Einsattlung ab und erreichten nach
einer weiteren Stunde, ebenfalls von Norden, das Winkel¬
joch, 2778 m, von welchem Gipfel wir durch einen der zahl¬
reichen, ziemlich steilen, brüchigen Kamine, die sich
nach Süden herabziehen, in 50 J&inuten die Ellesalm,*
etwa 2100 m hoch, und in weiteren 2 Stunden, auf
schlecht markiertem Wege gegen Mayrn absteigend,
Bidnaun erreichten. Die Ellesalm gewährt einen präch¬
tigen und instruktiven Blick in das Gebiet des Übel-
thalferners, so dass deren Besuch von Bidnaun aus
wärmstens zu empfehlen ist. Vom Winkeljoch aus
überzeugte ich mich von der möglichen Durch¬
führung der von der Section Eisakthai beabsichtigten
Weganlage vom Pflerschthale herauf über den nörd¬
lich liegenden, kleinen Gewingesferner und an den Süd¬
ostwänden der Lorenzspitze und dem Pfurnsee vorbei
zur Teplitzerhütte, wodurch ein ^neuer wichtiger Zu¬
gang zum Bechergipfel geschaffen würde.

Sannover. Carl Arnold.

Hohe Ferse, Hochspitze, Wnrzeralmspitze. Da Bidnaun
seit Erbauung des neuen Gasthofes durch den rührigen
Wirth Haller eine erhöhte Bedeutung als Sommer¬
frische gewinnt und bereits im letzten Sommer, na¬
mentlich von Seite der Hannoveraner, zahlreichen Be¬
such erhielt, war es von Wichtigkeit, auch für die
minder geübten Sommerfrischler einen leichten, aber
lohnenden Aussichtspunkt zu finden. Als solche wurden
mir von den Einheimischen die südwestlich von Bidnaun

liegenden vorerwähnten Gipfel empfohlen. Am 9. Sep-.
tember v. J. verliess ich Bidnaun in der liebenswürdigen
Begleitung der Herren Pfaff und Benner sen. und jun.
aus Stuttgart und stiegen wir in dem sich kurz hinter,
dem Wirthshause öffnenden ziemlich eintönigen Valligel-
thale zur äusserst primitiven Klotzahn, uns stets an der
Westseite des Baches haltend. Vor uns haben wir
hier gegen Süden den das Thal abschliessenden Sattel,
(über welchen man leicht ins Batschingesthal gelangt),
der östlich von der Hochspitze, 2421 m, westlich von
der Hohen Ferse, 2668 m, begrenzt ist. Von der Klotz¬
alm an gieng es ziemlich steil über Geröll fast südwest¬
lich gegen den Sattel zu, welchen man am Südostabfall
der Honen Ferse ersteigt, um dann über den brüchigen
Grat ohne besondere Schwierigkeit den Gipfel zu er-'
reichen. Wir brauchten von Bidnaun hierher 3V 2 Stun¬
den, welche Zeit durch Anlage eines Weges, von der
Alm an, bedeutend abgekürzt würde.

Trotzdem der Himmel nicht klar war, überraschte
uns die Aussicht ganz außerordentlich, sodass wir nahe¬
zu 3 Stunden auf dem, einen langen, wenige Meter brei¬
ten Grat bildenden Gipfel blieben. Nach Süden fesselt
den Blick das Batschingesthal', dahinter das lange
Passeierthal, und weit draussen im Vintschgau glaubten
wir mit dem Fernrohre sogar Schloss Tirol zu erkennen;
prächtig repräsentieren sich die Oetzthaler, namentlich
die Wildspitze ; äusserst belehrend ist der Einblick in
die Stubaier, dann hinüber zum Habicht und Tribulaun,
gar nicht zusprechen von dem unbeschreiblich schönen
Bilde, welches die Dolomiten darbieten. Es würde zu
weit führen, hier das ganze Panorama zu schildern und
dürfte die Versicherung genügen, dass die Hohe Ferse
ein ganz hervorragender Aussichtspunkt ist, der 'sich
z. B. mit der Am'thorspitze in jeder Beziehung messen
kann. Den Abstieg machten wir durch den Stauden-
berggraben, vom Gipfel zuerst nach Südwesten zur ersten
Einsattlung hinabsteigend und dann stets unter den
Westwänden der Hohen Ferse und des Staudenbergs
uns haltend, gegen den Basenboden zusteuernd, stets
auf der Ostseite des Baches.

Der Abstieg erfordert zwar Vorsicht, ist aber lange
nicht so schwierig, wie er sich von oben ausnimmt.
Nach einer Stunde betraten wir den zu den Almhütten
führenden Fusssteig, tranken in der untersten Alm (Ge¬
winges-Alm ?), welche zu den bestausgestatteten Alm¬
hütten, die ich jemals betrat, gehört, vorzügliche Milch
und erreichten, uns schliesslich am Ende des Thaies
östlich haltend, kurz yor Mayrn die Erzstrasse und
2 x / 2 Stunden nach dem Verlassen des Gipfels das Bid-
narmer Gasthaus, hocherfreut darüber, dass sich die An¬
gaben der Thalbewohner über die Hohe Ferse so voll¬
ständig bewährt hatten. Lohnender, aber weiter wie
der Abstieg durch den Staudenberggraben, ist der über den
Ostgrat zur Hochspitze und von hier weiter zur 2139 m
hohen Wurzerahnspitze, dann ziemlich steil, hinab zur
gleichnamigen Alm und auf nicht zu verfehlenden Fuss-
steigen hinaus zur Erzstrasse, welche man kurz vor
ihrem Ende erreicht, also dort, wo ein Bremsberg die
Verbindung mit der 300 m tiefer liegenden, bei Mareith
endigenden St -asse herstellt. Auf diesem Wege braucht
man vom Gipfel der Hohen Ferse bis Bidnaun 44*/ 2
Stunden. Da die Section Hannover sich nicht in das
Wirkungsgebiet der Section Teplitz eindrängen will,
sondern sich auf die Erschliessung der Umgebung des
Bechers beschränkt, hat sie an letztere Section das Er¬
suchen gestellt, auf die Hohe Ferse einen Fuss weg
herstellen zu lassen, wozu sich die Section Teplitz in
liebenswürdigster Weise sogleich bereit erklärt. hat,
sodass bereits in diesem Sommer den Besuchern des
Bidnaunthales die Gelegenheit geboten ist, den neu¬
erschlossenen Aussichtspunkt bequem zu erreichen.

Hannover. Carl Arnold.